Wenn … dann wirst du nach Hause geschickt, und deine Eltern müssen die ganze Kur bezahlen

rudi 

Verschickungsheim: Sanatorium Dr. Strokorb, Friedrichsbrunn/Harz (jetzt in Sachsen-Anhalt)

Zeitraum (Jahr): 1969

Welche Arten von Misshandlungen/Missbrauch gab es?: psychische Gewalt

Vorab: Hier wird von ” Misshandlungen/Missbrauch” geschrieben. Ich habe mich da nicht wohl gefühlt, aber als Misshandlungen/Missbrauch habe ich es damals nicht empfunden. Und wenn ich mit anderen Erlebnissen hier vergleiche, dann ging es mir dort relativ gut.

Die Kur war in den Sommerferien, deshalb waren auch Aushilfskräfte als Erzieherinnen tätig.
Manche Erzieherinnen waren freundlich, andere sehr streng. Man wußte nie, woran man war.

Allgemeine Drohungen waren z.B. „Wenn … dann wirst du nach Hause geschickt, und deine Eltern müssen die ganze Kur bezahlen.“ Oder „Wenn … , dann bleibst du noch den nächsten Durchgang hier.“ Letzteres bekam ich beim (Nicht-richtig-)Essen oder Wiegen öfter zu hören. Zum Wiegen habe ich mir immer Sachen in die Schlafanzugtasche gesteckt, um schwerer zu sein. Das Essen war meistens gut. Aber es gab 2 mal Frühstück, dabei einmal immer einen Brei oder Puddingsuppe. Manche Erzieherinnen achteten darauf, wirklich alles aufzuessen, auch die Milchhaut (die ekelt mich). Vor-dem Teller-sitzen-bleiben, bis alles aufgegessen, oder aber alle am Tisch mußten den gesamten Tischdienst übernehmen.

Alle Kinder, ich war 11 und manche deutlich älter, mußten Mittagsschlaf machen. Bei Nichtschlafen drohte die Verlegung in den Schlafraum der kleinen Kinder, welcher an der Flurseite ein durchgehendes Fenster hatte und gegenüber dem Erzieherzimmer lag. Wir mittleren und die größeren hatten normale 4- oder 6-Bettzimmer. Ob man in der Schlafenszeit auf die Toilette durfte hing auch von den Erzieherinnen ab. “Du bist groß genug und kannst vorher gehen oder dich jetzt zusammenreißen. Wenn nicht, dann kannst du jetzt gehen, bekommst dann aber eine Gummihose.” Da ich bei Bettenmachen bemerkt hatte, daß auf der Matratze ein großes rotes Gummituch lag (ich schämte mich deswegen, aber das war sicher in allen Betten so; und ich fand es eklig) nahm ich die Drohung ernst. Ein anderer Junge hat sogar mal aus dem Fenster gepinkelt.

Insgesamt habe ich die Kur trotzdem nicht “schrecklich” in Erinnerung.“

Wir hatten wegen der Sommerferien keinen Unterricht, den es sonst wohl gab. Dafür waren wir relativ oft draußen. Hinter dem Heim war ein Wald, Wanderungen gingen zB zu den Teufelsmühlen. Also habe ich auch positive Erinnerungen.

Auf dem Fragebogen hatte meine Mutter „schlechter Esser“ angekreuzt und so etwas wie „unruhiges“ oder „zappeliges Kind“. Beides war sicher richtig, und vielleicht nahm ich deshalb an, dass „es so sein soll“ bei einer Kur.
Das Sanatorium hatte einen Teil für Erwachsene, der Seitenflügel war für Kinder. In dem Durchgang waren Kinder im Alter von etwa 6 bis 16, nur Jungen.
War deshalb das Essen besser, als ich es hier in anderen Berichten lese? Und vielleicht konnte man mit größeren Kindern auch nicht ganz so umspringen wie mit (nur) kleinen Kindern?