Olaf Winter
Verschickungsheim: St. Blasien
Zeitraum (Jahr): 1964
Welche Arten von Misshandlungen/Missbrauch gab es?: beides
Ich wurde wegen angeblichem „zu schmächtig sein“ mit sechs Jahren (im Winter) nach St. Blasien verschickt. Als Folge davon wurde ich erst mit sieben Jahren eingeschult.
In St. Blasien erinnere mich an bedrohliche Nonnen in schwarzen Gewändern, die einem die Ohren lang zogen, wenn man nicht eingeschlafen war oder das Essen nicht aufgegessen hatte. Als sehr bedrohlich verfolgen mich noch heute „schwarze Gestalten“ (Nonnen), bilde ich mir auf jeden Fall ein. Ich glaube, dass man sechs Wochen keinen Kontakt nach hause hatte. Was ich gefühlt oder wie ich mich verhalten habe, als ich wieder zuhause war, kann ich nicht erinnern, merkwürdig.
Meine Eltern haben nie (!!!) mit mir jemals darüber gesprochen
Ich habe diese sechs Wochen als einzige Bestrafung erlebt, dafür, dass man (angeblich)) nicht genug gegessen hatte oder eben zu dünn war.
ich hatte es meinen Eltern nicht recht gemacht.
Wenngleich mir es im späteren Leben nicht schlecht ergangen ist, hat mir das Symptom, es allen recht machen zu wollen in den letzten Jahren einen burnout (schwerste Erschöpfungsdepressionen) samt einem Klinikaufenthalt in der Oberbergklinik in Hornberg im Schwarzwald (nur fünfzehn Kilometer von St. Blasien entfernt!) beschert, vor nunmehr zwei Jahren, 55 Jahre später.
Bis zur Medienaufmerksamkeit im Frühjahr diesen Jahres, wusste ich gar nicht, dass ich als „Verschickungskind“ einzuordnen bin, ich bin sehr dankbar, dass nach allen Jahren („westfälischer“) Verdrängung aufarbeiten zu können.
Wenn ich den Bericht der letzten Woche in der FAS gelesen habe, ist mir regelrecht übel geworden. natürlich habe ich Angst, dass in dem Heim, in dem ich war, ähnliches passiert ist, an das die Erinnerung ausgelöscht ist. Ich hoffe nicht, es war schlimm genug.
Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich wahrgenommen habe, dass diese sechs Wochen eine entscheidende Krise in meinem Leben war.
Als ich in der Klinik war, habe ich es psychisch nicht geschafft, noch einmal nach St. Blasien zu gehen. Irgendwann gehe ich da noch einmal hin.
Abschliessend versuche ich jetzt gerade zu lernen, meinen Eltern diese Zeit zu vergeben, sie wussten es nicht besser. Das fällt mir nicht leicht, aber es wird gelingen.