Bodo Behrens
Verschickungsheim: Kinderheim Dr. Ewald, Wüstensachsen/Rhön
Zeitraum (Jahr): 1959
Welche Arten von Misshandlungen/Missbrauch gab es?: beides
Ich war im Januar/Februar 1959 im Alter von 10 Jahren für 6 Wochen zur Erholung im Kinderheim Dr. Ewald in Wüstensachsen/Rhön.
Einige Dinge sind mir in lebendiger Erinnerung geblieben. Erst einmal das absolut strenge Regiment. Es gab keine besondere Empathie, was bei dem Heimweh, das einen bewegte, unbedingt nötig gewesen wäre. Es gab ausschließlich das Prinzip von Befehl und Gehorsam. Das entsprach wohl dem Erziehungsstil vieler in den 50er Jahren. Die Post nach Hause wurde strengstens zensiert. Es war absolut verboten, heimlich eine Postkarte nach Hause zu schicken. Davor wurde ständig gewarnt.
Jeder Tag war bestimmt durch ausgedehnte Wanderungen durch die Rhön. Das Essen war ein besonderes Thema. Ständig gab es Quark mit Kartoffeln und ein Fruchtmüsli. Man wurde regelrecht gemästet. Natürlich musste man seinen Teller leer essen. Konnte man nicht mehr essen, musste man trotzdem weiteressen. Im Extremfall erbrachen sich Kinder und mussten dann das Erbrochene essen. Der Grad der Erholung wurde an der Gewichtszunahme gemessen. „Du hast dich ja gar nicht erholt“, sagte Dr. Ewald bei der Abschlussuntersuchung zu mir. „Du hast ja gar nicht zugenommen.“
Es ist zwar nicht so, dass ich bleibende Schäden durch die Verschickung entwickelte, aber die Zeit ist mir in äußerst negativer Erinnerung geblieben, obwohl man mich eigentlich überwiegend in Ruhe gelassen hatte. Aber ich erinnere mich mit Grausen daran, wie andere Kinder behandelt wurden.