Gefangenschaft in Betzigau

Gäble Günther 

Verschickungsheim: Baltenstein-Betzigau

Zeitraum (Jahr): Sommer 1963 oder Sommer 1964

Welche Arten von Misshandlungen/Missbrauch gab es?: keine

Im Westermannkindergarten in Memmingen wurde meiner Mutter wohl diese Kinderverschickung empfohlen, da sie es in dieser Zeit als Mutter etwas leichter hätte, mit einem Kind weniger Zuhause und vermutlich auch mit dem Hinweis, dass mir das gut tun würde. Ich vermute, dass ich zu diesem Vorhaben eingewilligt habe oder den Plan zumindest zur Kenntnis genommen habe.
So kam ich eines Tages auf diese Erholung nach Betzigau. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern aber manche Dinge haben sich doch bei mir eingeprägt. Wir waren in einem Mehrbettzimmer mit Stockbetten untergebracht. 6 Kinder in einem Zimmer, das könnte hinkommen. Es gab einen Garten mit einem Zaun außen herum, der an einen Wald angrenzte. Im Garten hielt ich mich gerne auf.
Ich habe diese Verschickungszeit nicht in bester Erinnerung, aber könnte mich auch nicht an Misshandlung erinnern. Heutigen freizeitpädagogischen Ansprüchen würde es vermutlich nicht genügen, aber ich hatte ja auch keine Vergleichsmöglichkeit und so war für mich der Aufenthalt, als etwas, das ich als “normal” eingestuft habe. Ich war eher ein passives Kind und mit Passivität habe ich die Zeit überstanden. Gut, ich habe schon an Zuhause gedacht, mich auch danach gesehnt, wieder nach Hause zu kommen, aber direkt unter Heimweh habe ich nicht gelitten.
Ich kann mich noch an eine Wanderung erinnern über Betzigau. Ich erinnerte mich, dass wir über dem Ort Betzigau waren .
So machte ich mich vor ca. 5 Jahren auf die Suche danach.
Ich habe es mit der Hilfe einer einheimischen Frau gefunden, die sich an das Kinderheim erinnern konnte. Sonst hätte ich keine Chancen gehabt, da es jetzt nicht mehr als solches genützt wird. Ich erinnere mach, dass wir einen Bettnässer im Zimmer hatten. Es gab auch einen Altersunterschied, manche Kinder waren bereits größer und manche noch kleiner. Zu den größeren gehörte ich nicht, eher zu den kleineren. An die Namen der anderen Kinder kann ich mich nicht mehr erinnern, bin auch in keinem Kontakt zu jemandem. Durch den Artikel in der Allgäuer Zeitung bin ich auf sie aufmerksam geworden und begrüßte ihre Aktion, als Möglichkeit, von dieser damaligen Zeit zu lesen und wie andere ehemalige Teilnehmer diesen Aufenthalt jetzt sehen und bewerten.
Meine Eltern wollten mich einmal besuchen und waren da. Wir Kinder haben gerade einen Film angeschaut und waren vor dem Fernsehgerät im Gemeinschaftszimmer gesessen. Die Verantwortlichen hielten es nicht für ratsam, dass meine Eltern mit mir zusammenkommen, da ich sonst mit ihnen nach Hause fahren wollte. Somit mussten sich meine Eltern damit begnügen, dass sie mich von draußen, vom Fenster aus sehen konnten, wie ich auf das Fernsehgerät schaute. Immerhin haben sie gesehen, dass ich lebe und nicht abgemagert bin. Das ist ja auch etwas wert!
Nach meinen 4 Wochen ging es wieder zurück nach Hause. An die Gefühle bei der Abreise kann ich mich nicht mehr erinnern, doch denke ich, dass es ein Gefühl der Aufbruchstimmung war.
In Memmingen angekommen und in meinem Elternhaus, war ich überglücklich wieder in meinem Garten zu sitzen und dort Gänseblümchen zu pflücken. Dieses Bild habe ich noch immer vor Augen.

Mein Vater erzählte manchmal vom Krieg und dass er in amerikanische Gefangenschaft geriet.
Als junger Bub sprach ich danach -teils im Scherz, teils Ernst- von meiner Gefangenschaft in Betzigau. Mit dieser humorvollen Betrachtungsweise habe ich diese Zeit, ohne Schäden -so hoffe ich zumindest-, überstehen und verarbeiten dürfen. Für irgendetwas wird die Zeit für mich -so hoffe ich- gut gewesen sein!? Ich will also in der Bewertung nicht zu kritisch sein. Ich war in einem zarten Alter, wo man vielleicht mit einer Verschickung noch ein paar Jahre warten hätte können!?