Große und Kleine & Dicke und Dünne

Anonym 

Verschickungsheim: Bairawies

Zeitraum (Jahr): Aug/Sept 1974

Welche Arten von Misshandlungen/Missbrauch gab es?: psychische Gewalt

Im August/September 1974, die 6 Wochen nach den Sommerferien nach Beirawies/Schwarzwald verschickt.

Das ‚Kurheim‘ war damals an den Hochtaunuskreis verpachtet und von dort kam ich.

Meine alleinerziehende Mutter hatte kurz vorher einen „Nervenzusammenbruch“ – wie es damals hieß und war das voll „igitt“: über so etwas sprach man damals nicht – und ich musste wohl irgendwie aus den „Füßen“, damit sich die Erwachsenen ein bisschen sortieren konnten.
Ich war und bin es auch heute noch: „ein Strich in der Landschaft“ und so bot es sich an, mich auf die „Kur zu schicken“ …
Viele andere haben es schon berichtet: die verzweifelten Briefe nach Hause wurden kassiert und nur solche a la „mir geht es gut, wie geht es Euch?“ zugelassen – solche Briefe mussten aber wöchentlich geschrieben werden.

Ich wollte nur wissen, was mit meiner Mutter wirklich los war, darüber gab es keine Auskünfte. Ich wurde nach meinem ersten Brief zur Heimleiterin ‚gebeten‘, die mir mitteilte, dass sie mit meinem Onkel gesprochen habe, es meiner Mutter soweit gut ginge, ich aber weder jetzt noch in absehbarer Zeit wieder mit meiner Mutter zusammenleben können. Im Übrigen dürfe ich meine Mutter überhaupt nicht danach fragen, was los ist. Warum durfte ich weder mit meiner Mutter, noch mit meinem Onkel direkt reden?

Ich wurde in der Zeit des Aufenthaltes 12 Jahre alt. Wahrscheinlich gab es eine kleine Aufmerksamkeit bzgl. meines Geburtstags – ich erinnere mich nicht!

Meine österreichige Tante hat damals angefangen mir so etwas wie „Care Pakete“ zu schicken: mit allerlei, vom Mund abgesparten, Süßigkeiten drin. Ich habe nur einen Teil des Inhalts bekommen – die edelsten Sachen waren schon weg, Einen Großteil musste ich wahllos verteilen, ein bisschen verblieb mir und meinen Freunden

Einige Zeit danach fragte meine Tante, was ich bekommen hatte – ich antworte wahrheitsgemäß – alles blieb ohne Folgen.

Im Speisesaal waren ‚Große und Kleine‘ und ‚Dicke und Dünne‘ gemischt.

Das einige Konzept die ‚Dicken‘ abzuspecken und die ‚Dünnen‘ aufzupäppeln bestand daran, die Einen auf ‚FDH‘ und die anderen auf ‚doppelte Portion‘ zu setzen. Viele der Dickeren sind hungrig aufgestanden. Die Dünneren haben die Speisen in sich hineingewürgt. Ein paar Mal habe ich es geschafft, meinen übervollen Teller unbemerkt an meine Nachbarin weiter zu geben. Ein paar mehr musste ich aber noch größere Portionen in mich hineinschaufeln.

Ich war ursprünglich nach vorne raus, in einem wahrscheinlich 6 Bettzimmer untergebracht. Wie die Kleinen habe ich jede Nach in den Schlaf geheult. Nun, ich war damals schon inmitten der Pubertät und habe in der Zeit meine „Tage“ bekommen. Unvorbereitet wie ich war, musste einige Beweise vorlegen, um an selbstbezahlte Hygieneartikel zu kommen. Danach durfte ich in ein 4-Bett Zimmer nach links raus umziehen und wurde auch ein bisschen freundlicher behandelt

Nichtsdestotrotz wurden wir zur Körperpflege einfach in einem großen Waschraum zusammengetrieben.

Ich hatte damals schon die „Anwandlung“, dass die Leute, die uns das antun, auch bereit waren, Männer/Frauen/Kinder jüdischen oder muslimischen Glaubens bis zum Tod zu schikanieren.