Diana
Verschickungsheim: Pomßen
Zeitraum (Jahr): 1979
Welche Arten von Misshandlungen/Missbrauch gab es?: psychische Gewalt
Ich war im Spätherbst 1979 mit gerade mal 4 Jahren für mehrere Wochen zur Kur in Pomßen. An sehr viel Schnee erinnere ich mich. In meinem Leben hab ich immer wieder mal an diese Kur gedacht und mich als Erwachsene gewundert, wie man so kleine Kinder für so lange Zeit so weit von ihren Eltern entfernt zur Kur schicken kann! Ich war auch immer entsetzt, dass meine Mutter das zugelassen hat, aber sie sagte, der Arzt hat das für richtig befunden und deshalb wurde das dann halt so gemacht. Meine Mutter hatte mir vorher gesagt, dass ich zur Kur muss und ich fand das wohl auch toll. Ich erinnere mich noch an den extra neu gekauften Bademantel. Wahrscheinlich hab ich damals einfach noch kein Verständnis für das ganze Geschehen gehabt. Ich erinnere mich an eine nicht endende, sehr lange Busfahrt, denn ich kam aus Mecklenburg-Vorpommern. Unterwegs musste ich ganz dringend zur Toilette, aber ich musste ewig warten, bis der Bus anhielt und wir Kinder uns erleichtern konnten. Ich habe schon im Bus geweint, weil ich nach Hause wollte. Sowieso habe ich viel geweint vor lauter Heimweh.
Absolut eingebrannt hat sich bei mir, dass wir Kinder ganz oft für eine Weile im Kreis um eine Art Rotlichtlampe herumgehen mussten. Der Raum war dabei dunkel und es roch ganz eigenartig durch das erzeugte Licht und die abgestrahlte Wärme. Wir hatten nur die Unterhose an. Vielleicht waren wir auch ganz nackt, aber da bin ich nicht mehr sicher.
Wir haben viel gemalt, gebastelt und ich habe der Erzieherin diktiert, was sie meiner Mutter auf die Postkarte schreiben soll, die ich schicken durfte. Ich selbst habe auch Post bekommen.
Ich erinnere mich an Gitterbetten. Ich glaube, unter den Betten standen Pinkelpötte für die Nacht. Ich habe das Gitter von meinem Bett nachts runtergemacht oder bin drüber geklettert, wenn ich pinkeln musste.
Ich sehe eine großen Essensaal vor mir mit vielen Gruppentischen. Ich saß an einem Vierertisch. Einmal gab es einen Vorfall: ein Kind hatte in der Toilette mit Fäkalien die Wand beschmiert. Alle Kinder saßen im großen Essenraum und warteten auf das Essen, aber eine erboste Erzieherin rief durch den Saal, dass es erst etwas zu essen geben würde, wenn der Wandbeschmierer sich melden würde. Es hat sich endlos lange Minuten niemand gemeldet und es war totenstill – und dann hab ich mich gemeldet, obwohl ich es nicht war! Aber ich wollte wohl, dass die Warterei ein Ende hatte. Anders kann ich mir das nicht erklären. Ich musste dann die beschmierte Wand sauber putzen, während die anderen Kinder essen durften. Danach durfte ich dann auch wieder in den Saal zurück und wurde böse von den anderen Kindern angesehen, sodass ich dann noch geweint habe.
Ich erinnere mich an Zwillingsjungs und an eine sehr große Treppe, die vom Haus in den Garten führte. Wir waren viel draußen spielen.
Wieder zurück zu Hause habe ich für einige Zeit angefangen zu stottern. Das war vor der Kur nicht so. Aber was bis heute noch ist: ich habe mich nie mehr mit meiner Mutter wirklich verbunden gefühlt. Das muss nicht unbedingt an der Kur gelegen haben (ich war auch schon mit 8 Lebenswochen Krippenkind, was sicherlich auch zu einer gestörten Bindung beigetragen hat).
Ich erinnere mich nicht an schlimme Vorfälle, aber wenn ich an die Kur denke, geht es mir nicht gut dabei, denn Einsamkeit und das lange Getrenntsein von der Familie habe ich als etwas ganz Schreckliches erlebt. Ich habe bis heute Probleme, mich an Menschen zu binden und zu vertrauen.
Wer war noch in Pomßen? Würde mich über andere Erinnerungen freuen.