Anonym
Verschickungsheim: Kinderheilstätte Aprath
Zeitraum (Jahr): 1959 bis 1960
Welche Arten von Misshandlungen/Missbrauch gab es?: beides
Ich war wegen Tuberkulose fast 22 Monate in der Kinderheilstätte Aprath in Wülfrath. Eltern durften mich alle 2-3 Monate besuchen. Ich wurde mit ca. 3 Jahren von einer Frau vom Gesundheitsamt, abends zuhause abgeholt. Sie sagte, sie zeigt mir draußen, beim Autofahren die Lichter und bringt mich gleich zurück! Ich erinnere mich an die Autofahrt und die Lichter im Dunklen. An die Ankunft und Aufnahme habe ich keine Erinnerung. Ich erinnere ich mich an den großen Schlafsaal. Und dass ich nicht Essen wollte und ich deshalb beschimpft und geschlagen wurde. Ich habe auch wieder in die Hose bzw. Bett genässt und musste dann lange auf einen Topf sitzen. Wenn ich weinte wurde ich geschlagen und beschimpft. Wenn meine Eltern zu Besuch kamen, dachte ich sie holen mich endlich ab. Wenn sie nach 2 Stunden gehen mussten, habe ich gedacht sie gehen für immer weg und ich schrie und weinte. Dann haben sie mich geschlagen und mir die Geschenke weggenommen. Sie sagten, dass mich niemand mehr mag, weil ich böses Kind sei und ich keine Geschenke verdiene. Dann wurden die Süßigkeiten an die anderen Kinder verteilt und ich bekam nichts. Mein Teddy wurde mir auch weggenommen. Wenn ich nicht ins Bett machen, alles aufessen und nicht mehr weine, würde ich ihn zurück bekommen..Ich habe ihn nicht mehr zurückbekommen. Da ich immer schwächer wurde, wurde der Aufenthalt ständig verlängert. Nach einem halben Jahre erkannte ich meine Eltern nicht mehr und sagte Tante und Onkel zu Ihnen und wollte aber trotzdem immer mit Ihnen nachhause..nur weg von da! Zuhause habe ich kaum gesprochen und musste immer in der Nähe meiner Mutter oder Vater sein. Sobald meine Mutter z. Bsp nur kurz in den Garten ging, hatte ich Panik, dass ihr etwas zustößt und sie nie wieder kommt. Ich habe jahrelang kaum essen wollen und war sehr untergewichtig, obwohl ich gesund war. In der Pubertät war ich Magersüchtig und Suizid gefährdet. Verlassensängste und Bindungsängste begleiteten mich mein ganzes Leben. Sowie wiederkehrende Depressionen und Ängste vor Ärzten bzw. Krankenhäuser. Da ich nur Bruchstücke meiner Erinnerung später geschildert hatte, haben meine Eltern es nicht wirklich glauben können. Meine 13 Jahre ältere Halbschwester beschimpfte mich als Kind oft, weil ich weinte wenn meine Mutter kurz wegging und sagte dann, ich würde nur Aufmerksamkeit erregen wollen oder ich würde nur spinnen! Meine Erlebnisse wurden weiterhin totgeschwiegen. Gestern teilte ich meiner Halbschwester mit, dass es nun aufgearbeitet wird und ich mich dadurch besser fühle. Sie sagte, dass sie das Thema nicht interessiert und sie nichts davon hören will und, dass sie weiterhin nichts von alledem glaubt!!! Dass war wie ein Schlag in mein Gesicht!!Aber meine Freunde und Therapeutin stehen zu mir und die Gewissheit, dass ich nicht allein bin mit diesen Erfahrungen! Ich wünsche mir sehr, dass jemand, der auch in Aprath war, seine Erfahrungen mitteilt, damit vielleicht meine Puzzle Stücke der Erinnerung ein vollständiges Bild ergeben und ich weis, dass ich keine Spinnerin oder ähnliches bin. Alles Liebe und viel Kraft an Alle.