Vertrauensprobleme und extreme Verspannungen

Anke Schuenemann 

Verschickungsheim: Glücksburg Ostsee

Zeitraum (Jahr): 1968 oder 1969

Welche Arten von Misshandlungen/Missbrauch gab es?: beides

Ich war 5 Jahre alt und untergewichtig. Sie haben mich 5 (oder 6?) Wochen nach Glücksburg geschickt. Ich war extrem einsam, eingeschüchtert und starr. Das sind meine Erinnerungen:

1) Ich gehörte der Eichhörnchen Gruppe an. Im Flur hatte ich ein Fach, wo meine Sachen drin waren.

2) Wir schliefen in Gitterbetten in einem großen Schlafsaal auch mit größeren Kindern. Wir bekamen vor dem Einschlafen ein Betthupferl aus einer Dose, die in der Ecke auf einem Tisch stand. Einige Mädchen stahlen daraus Bonbons. Das wurde entdeckt und weil sie sich nicht gestellt haben und niemand sie verraten hat, bekamen wir kollektiv Schläge dafür. Dafür beugte sich die Frau in mein Gitterbett und haute mich.

3) Ich hasste auch schon vor der Kur gekochtes Essen. Ich erinnere mich, dass es morgens für jeden nur eine Scheibe Brot mit Nutella oder so gab. Ich bin davon nicht satt geworden. Dafür haben sie mich mal gezwungen, Linsensuppe aufzuessen. Die Frau blieb neben mir sitzen solange bis mein Teller leer war. Furchtbar für mich. Eintopf war für mich das schlimmste. Alle Kinder durften den Saal verlassen. Ich musste sitzen bleiben mit der Frau an meiner Seite.

4) Einmal gingen wir in Zweierreihen die Treppen hoch. Von oben kam eine Frau, die mein Stofftier in der Hand hatte. Ich musste es wo verloren haben. Sie hat gefragt, wem das gehört. Und ich habe mich getraut aufzuzeigen, weil ich nicht wollte, dass mich jemand ansieht, dass ich auffalle. Ich wusste gleichzeitig, dass das Tierchen für immer verloren ist, wenn ich mich nicht melde. Aber ich konnte nicht.

4) Einmal gingen wir Muscheln sammeln. Ich bekam eine kleine Plastiktüte in die Hand gedrückt, wo ich die Muscheln rein tun konnte. Es gibt ein Foto von mir am Strand, ich habe dabei den Kopf ganz dicht am Boden, man sieht mein Gesicht nicht. Ich erinnere mich, dass ich es am Strand sehr schön fand, aber ich war total alleine, hatte keinen Kontakt mit irgendwem.

Ich habe versucht, hier sachlich zu schreiben. Und nicht meine ganzen Gefühle dazu zu mischen. Insgesamt kann ich sagen: ich war sicher hinterher eine andere. Und ich glaube, meine Mutter hat bis heute ein schlechtes Gewissen. Ich traue sie nichts dazu zu fragen, weil ich Angst habe, sie damit zu belasten.

Einsamkeit, alles alleine wuppen zu wollen, Vertrauensprobleme und extreme Verspannungen begleiten mich bis heute und sind nachweislich darauf zurück zu führen. Ich bin ganz sicher davon traumatisiert und bin aber erst jetzt und auch immer noch dabei, mir das zuzugestehen.