vor allem nicht das kostbarste Gut das wir haben,unsere Kinder!

Christiane 

Verschickungsheim: Kneipp’sche Kinderheilstätte Bad Wörishofen

Zeitraum (Jahr): 1974

Welche Arten von Misshandlungen/Missbrauch gab es?: beides

Ich wurde mit 9 Jahren zur “Kur” für 6 Wochen nach Bad Wörishofen in die Kneipp’sche Kinderheilstätte geschickt,als Ersatz für meine große Schwester. Vor lauter Freude und Aufregung bin ich in den Zug gesprungen, habe sogar vergessen, mich von meiner Mutter zu verabschieden.
Nach einer langen Zugreise wurde ich in der Kinderheilstätte von einer Nonne begrüßt .Sie fragte mich etwas, ich mußte 3mal nachfragen,ich habe sie wegen ihres bayerischen Dialektes nicht verstanden und weiß bis heute nicht, was sie von mir wissen wollte.Sie machte sich nicht einmal die Mühe,dann auf Hochdeutsch mit mir zu sprechen.
Was dann alles passierte ist in Vergessenheit geraten oder hat sich ganz tief in meinem Inneren vergraben. Durch die Berichte anderer Betroffener ist bruchstückweise einiges wieder in Erinnerung gekommen.
Ich weiß, das auch wir nachts absolutes Toilettenverbot hatten.Trotzdem bin ich eines Nachts aufgestanden und zur Toilette geschlichen. Ich hatte Glück, niemand hat mich erwischt.
Auch mußte der Teller immer leer gegessen werden,man blieb so lange davor sitzen,bis man es geschafft hatte.Zum Glück musste ich nie erbrechen.Ich sehe mich noch vor einem Teller mit rohem Fisch in Aspik sitzen,wie hat es mich geekelt,ich esse das bis heute nicht.
Schläge habe ich auch bekommen, weiß aber nicht warum.Und jeden Abend musste man die Hose runterlassen,da bekam man dann ein Fieberthermometer in den Hintern geschoben, das war nicht immer angenehm.
Briefe und Postkarten durften nur positiv geschrieben werden, Pakete,die ich von zu Hause erhielt,waren geöffnet,Süßigkeiten entwendet und nicht mehr wiedergesehen.
Die Kinderheilstätte hatte ein Klassenzimmer mit Lehrer,eigentlich hatte ich ja Ferien, musste aber trotzdem zum Unterricht. Ich fand das sehr ungerecht. In diesem Jahr fielen meine Sommerferien aus.
Wider zu Hause, habe ich bis vor kurzem nicht über meine Kur gesprochen,ich habe das Erlebte als “normal”empfunden.Bis ich auf den Bericht der Verschickungskinder gestoßen bin,dank meiner großen Schwester, die ihre Kur an der Nordsee verbrachte und keine negativen Erlebnisse hatte.Bis heute bin ich ein eher schweigsamer Mensch,habe vieles über mich ergehen lassen. Jetzt, mit über 50Jahren habe ich gemerkt,wie viele Menschen mich manipuliert und ausgenutzt haben.Ich lasse mir das nicht mehr gefallen.Dank meiner großartigen Familie werde ich das auch schaffen. Niemand sollte solche Erfahrungen in seinem Leben machen müssen,vor allem nicht das kostbarste Gut das wir haben,unsere Kinder!