Wenn ich Sylt höre, habe ich noch heute ein beklemmendes Gefühl

Anonym 

Verschickungsheim: Westerland/Sylt

Zeitraum (Jahr): 1976

Welche Arten von Misshandlungen/Missbrauch gab es?: beides

Ich wurde als 5-Jährige sechs Wochen lang nach Sylt geschickt, da mir von der Kinderärztin Übergewichtigkeit attestiert worden war. In dem Heim herrschte ein beklemmendes Klima. Insbesondere bei der Zubettgeh-Zeit wurden Kinder mit Heimweh geschlagen, bis sie Ruhe gaben. Nach wenigen Tagen reichte meist die Drohung oder das Hören von Schlägen aus Nachbarzimmern, um gar nicht erst zu zeigen, wie man sich fühlte. Tagsüber wurde ich neben Kinder gesetzt, die zum Aufpäppeln da waren. Sie hatten randvolle Teller, meiner war höchst spärlich belegt. Entsprechende Kommentare der Betreuer machten mir klar, dass es meine Schuld war, dass dies so war. Nachdem sich ein Kind beim Toben den Arm gebrochen hatte, war allen anderen für die restliche Zeit Toben unter Strafandrohung verboten. Ich habe viel aus dieser Zeit verdrängt. Nach Hause “schreiben” ging nur, indem man einem Betreuer in die Feder diktierte. So war es unmöglich, das Erlebte den Eltern zu schildern.
Ich habe nie wieder Heimweh gehabt irgendwo, weil es nirgendwo annähernd so schlimm gewesen ist wie dort. Wenn ich Sylt höre, habe ich noch heute ein beklemmendes Gefühl.