Ich dachte, ich würde nie wieder nach Hause kommen und meine Mutter niemals wieder sehen

Anonym 

Verschickungsheim: Kinderkurheim Stranddistel Spiekeroog

Zeitraum (Jahr): 1959

Welche Arten von Misshandlungen/Missbrauch gab es?: beides

Ich war grade 3 Jahre alt und im April/Mai 1959 sechs Wochen dort. Ich dachte, ich würde nie wieder nach Hause kommen und meine Mutter niemals wieder sehen. Meine frühesten Erinnerungen habe ich an die lieblose und gewalttätige Behandlung dort. Zum Beispiel kalt abgeduscht werden. Anschreien. Zwangsmittagsschlaf. Allein gelassen werden etc. Ich erinnere mich auch an das Gefühl, des totalen Ausgeliefert Seins. Ich war ja erst drei Jahre alt und habe Details verdrängt. Als ich als Erwachsene einmal nach Spiekeroog fuhr, wurde mir das ganze Ausmaß meines Traumas klar. Mir wurde schon mulmig bei der Schiffart entlang der Insel bis zum Hafen, als ich die Silhouette der Insel sah. Im Hafen kamen die Erinnerungen an die Inselbahn, die es 1959 noch gegeben hatte und im Ort stand Ich unvermittelt vor der Stranddistel und habe sie sofort erkannt. Mir wurde schlecht. Ich musste mich an Ort und Stelle spontan übergeben und hatte Durchfall und musste weinen. Mein Körper hatte alles abgespeichert.
Bei meinem Aufenthalt 1959, als kleines Kind wäre ich dort ausserdem fast gestorben. Ein Trauma bis heute (66 Jahre alt) ist, dass ich über das Wattenmeer nach Hause zu meiner Mutter laufen wollte. Denn ich sah das Festland auf der anderen Seite. Es hat wohl niemand bemerkt, dass ich ins Vorland gelaufen war. Ich war aber zu klein und blieb irgendwo im Schlick stecken und drohte zu ertrinken. Es war auch sehr kalt und ich völlig durchnässt und verdreckt. So lag ich da. Die Möven kreisten über mir und schrien. Sie haben mich auch vollgekackt. Aber sie waren wahrscheinlich meine Rettung, denn durch ihr Schreien wurden Leute aus dem Heim wohl aufmerksam, dass dort etwas nicht stimmte. Ich vermute, dass ich so wohl wieder gefunden und vor dem Tod bewahrt wurde. Auf einmal war da lautes Gekreische und Geschrei von Menschen. Ich wurde hochgerissen und ausgeschimpft. Dann weggetragen, ausgezogenen und unter die kalte Dusche.
Um dieses Erlebnis zu bewältigen habe ich in meinem Leben viel Traumatherapie machen müssen.