Von: Anonym Mein Heim: Kinderheim Woehr Peterzell/Alpirsbach Schwarzwald Zeitraum der Verschickung November bis Dezember 1960 Meine Geschichte: Der Beweggrund unserer Eltern, uns zur Kur zu schicken, war wahrscheinlich folgender: 1. Mein Vater war bei der Bahn und konnte dieses Angebot nutzen 2. Unsere Oma war zu diesem Zeitpunkt sehr krank und ist auch innerhalb der 6 Wochen gestorben. Unsere Mutter hatte somit mehr Zeit, sie in ihren letzten Lebenswochen zu begleiten. 3. Wir wurden im April 1961 eingeschult. Mein Zwillingsbruder und ich waren die mit unseren 5 Jahren die zweitjüngsten Kinder im Heim. Unseren 6. Geburtstag "feierten" wir in dieser Zeit. Die Jüngsten war ein 4-jähriges Zwillingspaar. In Erinnerung haben wir den Essenszwang. Es gab immer eine zweite Portion, und die musste aufgegessen werden, auch wenn man sich vor dem Essen ekelte (z.B. Rote Beete, Fisch). Nach dem Essen Mittagsschlaf. Ich erinnere mich daran, dass ich einmal noch über meinem 2. Teller in der Küche saß, als die anderen schon spazieren gingen. Rote Beete meiden wir bis heute. Lebertran wurde uns auch eingeflößt. Allerdings schien das in dieser Zeit üblich zu sein. Mein Bruder ist in diesen 6 Wochen gewachsen, ich pausbäckig geworden, sodass ich anschließend "Dickerchen" genannt wurde. Unseren Eltern wurde stolz per Postkarte berichtet, wieviel Gramm wir schon zugenommen hatten. Es war eine "Mastkur". Mein Bruder war vorher kein Bettnässer und anschließend auch nicht. Aber in dieser Zeit schon. Einmal wurde er für den Rest der Nacht alleine in einen kleinen Raum zum Weiterschlafen gebracht. Da er nicht wusste, ob er dort wieder rausgeholt wurde, hatte er große Angst. Auch hatte er Angst vor den älteren Jungen mit härteren Umgangsformen ("böse Jungs"). Die Pakete, die wir zu unserem Geburtstag und zum Nikolaustag erhielten, wurden geöffnet und an alle verteilt. Dies war für uns sicherlich schmerzhaft, aber mit Rücksicht auf die Kinder, die vielleicht gar keine Pakete bekamen, doch eher verständlich. An Schläge können wir uns nicht erinnern. Bei beiden von uns hat dieser Aufenthalt in so jungen Jahren Spuren hinterlassen (zum Teil identische), die unser weiteres Leben negativ beeinflusst haben. Das Leben meines Bruders gravierend.




